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DJINDJIC-MAFIA-DIKTATUR
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DJINDJIC-MAFIA-DIKTATUR
Von Klaus Hartmann*
„Gotov je!“ - dieser „Schlachtruf“, vor drei Jahren recht beliebt bei den „demokratischen“ Opposi-
tionsparteien in Belgrad und bei ihren Förderern in den westlichen „freien“ Medien, ist etwas in
Vergessenheit geraten. „Gotov je! – Er ist fertig“, war die Losung im Wahlkampf des Jahres 2000
in Jugoslawien, gemünzt auf den Präsidenten Slobodan Milosevic. Besonders lautstark wurde er
von einem Verein intoniert, der vom CIA als „Studentenorganisation“ aufgebaut worden war, „Ot-
por!“, „Widerstand!“ war ihr Name, und politisch war sie der deutschen „Aktion Widerstand“ ver-
wandt, jener NPD-„Bürgerinitiative“ in den 1960er Jahren. Zumindest übten im Sommer 2000
schon mal glatzköpfige „Otpor!“-Jugendliche am Donauufer für die Machtübernahme durch „De-
mokraten“, wie sie dann am 5. Oktober 2000 mit dem brennenden Parlament stilecht besiegelt
wurde. Zur Auffrischung der Erinnerung: „Ein Sturmlauf des Zorns fegt Jugoslawiens Diktator
hinweg“, kommentierte Frau Ridderbusch am 29.12.2000 in der WELT, offenbarte aber: „Der
Ausbruch des Volkszorns war indes wohl vorbereitet von den Studenten der Otpor-Bewegung,“
„Gotov je!“ – anlässlich des Attentats auf den serbischen Regierungschef Zoran Djindjic fiel die
Losung nicht Vielen ein, und den Wenigen anderen blieb sie bald im Halse stecken. Denn das „Sy-
stem Djindjic“ war mit seinem Namensgeber nicht zu Ende, es brach sich erst mit voller Brutalität
Bahn. Der Name Djindjic, er stand für das ungeschminkte Marionettenregime im Dienste der
Westmächte, besonders der USA, Deutschlands und der übrigen bombigen Freunde aus den
NATO-Staaten. Im Volksmund hieß Djindjic nur „der Deutsche“, im Parlament wurde er auf
Deutsch mit „Herr Bundeskanzler“ angesprochen. Das störte ihn aber sowenig wie seine sonstigen
Ehrentitel, von denen noch „Vaterlandsverräter“ und „Mafia-Pate“ hervorzuheben wären. Hervor-
zuheben deshalb, weil mit seinem Ende wieder Gerüchte und Legenden ihren Anfang nehmen, dass
der Statthalter der Fremdherrschaft vielleicht doch unmerklich die Interessen seines Landes vertre-
ten habe, oder aber ein Kämpfer gegen die Mafia gewesen und von dieser gerichtet worden sei.
Prüfen wir also, was und wen wer mit Zoran Djindjic wirklich verloren hat. Zunächst, ob es ein
Friedensfreund oder einer gewesen ist, der seinen Mitbürgern die NATO-Bomben gegönnt hat.
Djindjic liebte die Bombe auch, aber diplomatisch
Am 21. Mai 1999 beklagte es Zoran Djindjic gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters als Teil
der „Strategie des Regimes“, ihn zu beschuldigen, er habe „die Fortsetzung der Bombardierung
gefordert“. Am 25. Mai 1999 stellte ihm die tageszeitung die Frage: „Fordern Sie vom Westen ei-
nen Stopp der Luftangriffe?“ Antwort: „Das ist nicht realistisch“. Tatsächlich war Djindic schlau
genug, die Bombardierung Jugoslawiens durch die Nato nicht offen zu unterstützen, aber – und
darauf bezogen sich die Vorwürfe – am 9. Mai 1999 veröffentlichte er gemeinsam mit dem monte-
negrinischen Präsidenten Milo Djukanovic eine Erklärung, in der er die Nato aufforderte, sie dürfe
„keine Vereinbarung“ zum Ende des Krieges „unterzeichnen, die Milosevic den Erhalt seiner
Macht gestattet“. Was sollte dies anderes darstellen als die Aufforderung zur Verlängerung des
Krieges?
Eine Woche zuvor gab Djindjic den Bombenwerfern bereits wertvolle Hinweise, wie sie das Leid
der Bevölkerung in ihr politisches Kalkül einbeziehen können: „Wenn sich die Lebensbedingungen
der Bevölkerung zusehends verschlechterten und die Strom- und Gasversorgung zusammenbreche,
könne sich Milosevic den Nato-Forderungen nicht länger verschließen. Danach, ‚in zwei bis drei
Wochen’, werde der jugoslawische Präsident die Forderungen der Nato akzeptieren, prophezeite

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der serbische Oppositionspolitiker Zoran Djindjic in der israelischen Zeitung ‚Haaretz’“ – soweit
der Bericht der Rhein-Zeitung online vom 03.05.1999.
Dass Djindjic sich mit seinem Partner Dukanovic auch noch in die Hauptstädte der gerade Bomben
auf seine Heimat werfenden NATO-Mächte begab, Schröder umarmte und Madeleine Albright
knutschte, beförderte seine Beliebtheit zu Hause nicht sonderlich. Das wusste auch die „Westpres-
se“, und erklärte damit, warum nicht Djindjic an die Spitze der Kampagne gegen Milosevic gestellt
wurde: „Kostunica war laut Umfragen der aussichtsreichste Bewerber und außerdem, anders als
Djindjic, nicht als ‚Nato-Söldner’ zu diffamieren“, kommentierte Bernhard Küppers für die Süd-
deutsche Zeitung vom 27.12.2000
Dass man eine wirklich „demokratische Wahl“ nicht allein dem Volk überlassen kann, das wissen
auch die Außenminister der Wertegemeinschaft namens NATO und wir dank eines Spiegel-
Berichts vom Oktober 2000: Am 17. Dezember 1999 „versammelten Fischer und Albright die
namhaftesten jugoslawischen Oppositionellen am Rande eines G-8-Treffens in einem fensterlosen
Raum des Interconti-Hotels an der Budapester Straße in Berlin. Mit von der Partie: Zoran Djindjic
und Vuk Draskovic. Die wirklich kooperationswilligen Milosevic-Gegner einigten sich auf den bis
dahin weitgehend unbekannten Kostunica als Präsidentschaftskandidaten.“
Nach dem Sieg der „großen Freiheitsrevolution des serbischen Volkes“ (Freizeitdichter Gerhard
Schröder) mit dem brennenden Parlamentsgebäude als Erkennungsmerkmal kannte der alte Djind-
jic-Freund Joseph Fischer kein Halten mehr. Laut AP-Nachrichten vom 11. Oktober 2000 sprach er
„sich dafür aus, sich in Jugoslawien nicht nur materiell zu engagieren, sondern dauerhaft mit der
Bundeswehr und mit zivilen Kräften vor Ort zu sein.“ Die Bundeswehr dauerhafte Besatzungs-
macht in Jugoslawien, ganz so wie im Diktat von Rambouillet geplant? – Da hatte sich der deut-
sche Chefdiplomat doch etwas vergaloppiert, der Satz tauchte in keiner Meldung mehr auf, dafür
jenes merkwürdige Fischer-Zitat, dass nun „das letzte Stück des Eisernen Vorhangs in Europa ge-
fallen“ sei. Womit nochmals dementiert wurde, dass der „freie Westen“ Milosevic den „Nationali-
sten“ verübelt hätte. Folgerichtig feierten die Nachrufe auf Djindjic „den ersten nichtkommunisti-
schen Regierungschef seit 1945“.
Allein gegen die Mafia?
Warum aber musste Djindjic sterben? Dem „Organisierten Verbrechen“ sei „unser Mann in Bel-
grad“ (wie die Süddeutsche Zeitung Djindjic im Herbst 2000 nannte) zum Opfer gefallen. Jenem
„Organisierten Verbrechen“, das die Gesellschaft „seit Milosevic“ im Griff habe, und dem Djindjic
den Kampf angesagt habe. Soweit die Legende. Die Wirklichkeit sieht anders aus - die Mafia hat
einen der ihren umgelegt. Das steht zwar in keinem Nachruf, kann aber aus einzelnen Berichten der
letzten Jahre unschwer zusammengetragen werden.
So berichtete die Financial Times Deutschland am 10.08.2001: „Einige Spitzenpolitiker unterhalten
Kontakte zu Geschäftsleuten, die dem organisierten Verbrechen zugerechnet werden. Dokumente,
die der Financial Times Deutschland vorliegen, sowie Aussagen von Insidern und Ermittlern legen
nahe, dass sich die politischen Hoffnungsträger des Westens auf dem Balkan in ein Netz verstrickt
haben, das sie über Jahre selbst gesponnen haben: allen voran Montenegros Präsident Milo Djuka-
novic und Serbiens Premier Zoran Djindjic - zwei Politiker, die vom Westen zu Garanten eines
demokratischen Neuanfangs stilisiert werden.“
Am 13.08.2001 legt diese Zeitung nach: „Serbiens Premier Zoran Djindjic galt lange als Garant für
einen Neuanfang auf dem Balkan. Jetzt holt ihn die Vergangenheit ein. Beim Bau einer Zigaretten-
fabrik mit British American Tobacco gerät er in Verdacht, in Kontakt zur Schmuggler-Szene zu

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stehen.“ - „Heute ist Djindjic Premierminister - und ein internationaler Star. Seit Jahren gilt er im
Westen als Garant für die Demokratie auf dem Balkan. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich
eine andere, kaum wahrgenommene Seite: Widersprüche, in die sich der serbische Regierungschef
verwickelt hat, sowie Kontakte zu Geschäftsleuten, die dem Organisierten Verbrechen zugerechnet
werden, werfen dunkle Schatten auf die vermeintliche Lichtgestalt.“ - „Djindjic gerät immer mehr
ins Zwielicht: Am 17. Mai enthüllte das kroatische Magazin "Nacional", der serbische Premier sei
mit dem Privatjet des Zigaretten-Barons Stanko Subotic nach Moskau geflogen: mit einer Cessna
Citation X (N999 CX), registriert auf die Briefkastenfirma "Brook Aviation" im US-Staat Delawa-
re.“
Dass die ftd die kroatischen Zeitungsberichte unter die Lupe nahm, hängt mit dem Aufsehen erre-
genden Mord an einem der wichtigsten Informanten zusammen: Der ehemalige Geheimdiensto-
berst Momir Gavrilovic wurde am 03.08.2001 in Neu-Belgrad auf offener Strasse erschossen, was
„die bislang schwerste Regierungskrise auslöste“ und das St. Gallener Tagblatt vom 20.08.2001 zur
Frage veranlasste: „Milosevics Erben in den Fängen der Mafia?“. „Kostunica bestätigte, dass meh-
rere seiner Berater mit Gavrilovic kurz vor seinem Tod konferiert hätten. ‚Es ging um Korruption’,
bestätigte der Präsident. Laut dem Boulevardblatt Blic, das sich auf Quellen aus der Umgebung
Kostunicas beruft, soll der Geheimpolizist Gavrilovic den Präsidenten über die Verstrickung hoch-
rangiger DOS-Funktionäre in mafiose Machenschaften unterrichtet haben.“ „Das Präsidium der
Kostunica-Partei DSS begründete den angedrohten Austritt aus der serbischen DOS-Koalition denn
auch mit ‚Unzufriedenheit und Enttäuschung’ über die Untätigkeit der Regierung Djindjic in der
Bekämpfung von staatlich gelenkter Wirtschaftskriminalität. In dem Communiqué wird Djindjic
frontal angegriffen: Es müsse geklärt werden, ‚ob das organisierte Verbrechen von Teilen der Be-
hörden geschützt oder unterstützt wird oder ob die serbische Regierung unfähig ist, dagegen anzu-
gehen’.“
Angesichts dessen ist es an Dreistigkeit nicht zu überbieten, wenn heute Minister des Djindjic-
Kabinetts im Schutze des Ausnahmezustands die Kostunica-Partei für diese Zustände verantwort-
lich machen. Laut Neuer Zürcher Zeitung vom 08.04.2003 richtete der neu ernannte und drogen-
süchtige „stellvertretende Ministerpräsident Jovanovic in der Tageszeitung Danas vom Samstag
schwere Vorwürfe an Kostunica. Er sei dafür mitverantwortlich, dass der Bruch mit dem Milose-
vic-Regime nicht vollzogen worden sei.“ Und der christdemokratische Justizminister Batic „warf
Kostunicas Demokratischer Partei Serbiens indirekt vor, die ‚Roten Barette’ unterstützt zu haben.
Aber natürlich soll nicht nur der „demokratische“ Feind Kostunica verantwortlich sein, die Quelle
allen Bösen ist selbstverständlich der Oberschurke Milosevic. Denn die „Roten Barette“, denen die
Djindjic-Mörder entstammen sollen, waren laut Agenturen eine „1991 von Milosevic gegründete
Sondereinheit der Polizei“, und deren Kommandant und Hauptverdächtiger „Milosevic' liebster
Milizenführer ‚Legija’“ (Die Welt, 15.03.03).
Im Dienste seines Herrn
Solche dem Leser nahe gebrachten Assoziationen werden leider durch andere Meldungen erschüt-
tert, die man an anderen Tagen in der gleichen Welt findet. Da liest man, dass ohne die Unterwelt
es kaum einen Triumph der „Demokraten“ gegeben hätte: „Am 4. Oktober 2000 versicherte Legija
Zoran Djindjic, dass er auf seiner Seite stehe und für den demokratischen Umbruch kämpfe. Seine
‚Roten Barette’ würden am nächsten Tag den Sturz des Präsidenten Slobodan Milosevic unterstüt-
zen. Legija veranlasste, dass Djindjic das Plazet der serbischen Polizei und des Geheimdienstes
erhielt. Vor allem der serbischen Polizei war es zu verdanken, dass die Belgrader Revolution un-
blutig verlief.“ Das wusste Die Welt am 14.03., und am 26.03.03: „Die ‚Roten Barette’ … war(en)
der entscheidende Faktor beim Sturz Milosevic' im Oktober 2000: Nachweislich hatte sich Djindjic

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am Vorabend des Volkssturms mit ihrem damaligen Oberkommandeur Milorad ‚Legija’ Lukovic
getroffen, um einen Nichtangriffspakt zu schließen.“
Glücklicherweise existieren auch Selbstzeugnisse von Djindjic über seine guten Kontakte, und die-
ses Glück verdanken wir keinem Geringeren als dem Rüstungslobbyisten Moritz Hunzinger. Der
wiederum scheint seinen Klienten weniger Glück zu bringen, wie schon der Karriere Scharpings
(„Fötengrill-Rudi“) anzusehen ist: wie gewonnen, so zerronnen. Auch Djindjic erfreute sich Hun-
zingers Fürsorge und Honorare, und selbst im serbischen Wahlkampf im Dezember 2000 trat Hun-
zinger höchstpersönlich als Kundgebungsredner für Djindjic in Leskovac auf – und übergab ein
Wahlgeschenk, für das die RWE und die Marseille-Kliniken des gleichnamigen „höchst umstritte-
nen Unternehmers und Hobbypolitikers“ (Manager-Magazin 1-2003) der „Schill-Partei’’ zusam-
mengelegt hatten. Einer von Djindjics hoch dotierten Auftritten in Hunzingers Politischem Salon
am 29.11.2001, vor den Spitzen der Rüstungsindustrie, Hunderten Bundestagsabgeordneten, Dut-
zenden Regierungsvertretern, Bundeswehrgenerälen und Geheimdienstchefs, beschert uns als Ab-
fallprodukt ein Pressegespräch, von dem die Frankfurter Neue Presse vom 01.12.2001 zunächst das
Demokratieverständnis des Demokraten verdeutlicht:
„’Wir haben in Serbien ein Autoritäts- und ein Machtzentrum, wir haben dabei die Macht’, sagt
Djindjic im Gespräch bei der Hunzinger Information AG. Als das demokratische Oppositions-
Bündnis DOS im Herbst 2000 daran gegangen sei, Milosevic zu stürzen, habe man jemanden ge-
braucht, der beim ganzen Volk Autorität besaß, das sei Kostunica gewesen. Man habe dessen Be-
deutung zunächst einmal bewusst ‚aufgeblasen’, doch nach Regierungsantritt (…) sei klar, wer die
Macht in Serbien habe: die Regierung Djindjic und nicht Kostunica.“
Die sensationellste Offenbarung des Pressegesprächs im Hause Hunzinger war jedoch Djindjics
Einlassung auf die Frage nach der Elite-Polizeieinheit der „Roten Barette“, über die mitgeteilt
wird: „Er habe durchaus auch eine gewisse Sympathie und Achtung für diese Truppe, die immerhin
vier Kriege mitgemacht und schließlich Milosevic im März auch verhaftet und ausgeliefert habe.“
Die guten Kontakte zu Legias Einheit beschränkten sich also keinesfalls auf den Staatstreich am 5.
Oktober 2000, auch beim Kidnapping des früheren Präsidenten Milosevic und dessen vom Verfas-
sungsgericht untersagten Entführung nach Den Haag funktionierten sie als Djindjics Spezialtruppe!
Einige Tage vor Djindjics Ende berichtete die Süddeutsche Zeitung vom 28.01.03 unter dem wun-
dervollen Titel „Djindjics Freunde in Himmel und Hölle“ über einen Ljubisa „Cume“ Buha, „Boss
einer im Drogenschmuggel führenden Bande im Belgrader Vorort Surcin“. Er hat sich „aus dem
Ausland bei Belgrader Zeitungsredaktionen und Fernsehstationen gemeldet, um zwei nicht minder
kontroverse Persönlichkeiten aus dem serbischen Mischmilieu von Unterwelt, Polizei und Politik
schwerster Verbrechen zu beschuldigen … und bot sich nun als Zeuge prominentester Entführun-
gen und politischer Auftragsmorde an, die sein ehemaliger Pate Dusan Spasojevic genannt „Dule“
und der frühere Kommandant der Geheimdienst-Spezialtruppe „Rote Barette“, Milorad Lukovic
genannt „Legija“, zu verantworten hätten.“ Konkret nannte er „die Entführung des seit der Zeit vor
der Wende verschwundenen Milosevic-Vorgängers Ivan Stambolic und zwei fehlgeschlagene
Mordanschläge auf den Oppositionsführer Vuk Draskovic“. Die Gesprächigkeit war wohl ange-
spornt worden, nachdem auf „Cume“ im „vorigen August ein Mordanschlag verübt und Ende ver-
gangenen Jahres Asphaltierungsmaschinen in die Luft gesprengt worden waren, mit deren Mono-
polbesitz seine Firma lukrative Regierungsaufträge erlangt hatte.“
Am 12.03.03 zog Die Welt das höfliche Fazit: „Um Milosevic zu entmachten, watete Djindjic ent-
schlossen im Morast der Belgrader Unterwelt“. Und zum demokratischen Umgang mit seinen
„Partnern“: „Als Galionsfigur war Kostunica vorgeschoben, während Djindjic alle Fäden in der
Hand hielt. (…) Djindjic griff durch, um den Rivalen kalt zu stellen: (…) Im Mai 2002 ließ Djind-
jic dann die Hälfte von Kostunicas Abgeordneten wegen angeblicher Faulheit aus dem Parlament

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sperren. Nun hat er auch den Rest ihrer Mandate beraubt, weil Kostunicas Partei angeblich die
‚Koalitionsvereinbarung’ verletzt habe.“
Staatsstreich in Permanenz
„Staatsstreich“, „Mafiamethoden“, „Diktatur“ - diese Vorwürfe gegen Djindjic stammen nicht von
Serbiens Sozialisten oder Radikalen, sondern von Djindjics vormaligen und betrogenen Partnern,
der Demokratischen Partei Serbiens (DSS). Als Helfer bei dieser „Entwicklung der Demokratie“ ist
nach den Gehilfen im Untergrund an erster Stelle die wichtigste Erfüllungsgehilfin auf der (schein-
) legalen Ebene zu nennen, Djindjics Parteifreundin Natasa Micic. Zunächst stellvertretende Parla-
mentssprecherin, hatte sie den aus Protest gegen Djindjics Machenschaften zurückgetretenen Spre-
cher Marsicanin von Kostunicas DSS beerbt. Als Ende des Jahres 2002 aufgrund des „stillen Boy-
kotts“ von Djindjics DOS-Mehrheit die Wahl Kostunicas zum neuen serbischen Präsidenten wie-
derholt an der nicht erreichten 50%-Wahlbeteiligung scheiterte, wurde Micic gemäß Verfassung
interimistische Präsidentin. Dem jugoslawischen Präsidenten Kostunica schafften hingegen Djind-
jic und Dukanovic mit Hilfe des EU-Gouverneurs Solana kurzerhand den Staat ab, so dass er nun
ohne Staatsamt dasteht. Die bei der Monopolisierung aller Macht zugunsten von Djindjic so hilfs-
bereite Frau Micic erhielt dafür von der Welt am 15.03.2003 den Ehrentitel „Indira Thatcher“.
Ihre große Stunde kam mit dem Attentat auf Djindjic, denn unmittelbar danach verhängte sie den
„Ausnahmezustand“. Wem dies übertrieben vorkam, wurde durch die nun einsetzende Polizeiakti-
on eines „Besseren“ belehrt. Ein Notstandsregime mit diktatorischen Vollmachten wurde errichtet,
elementare demokratische Freiheiten außer Kraft gesetzt. Über alle Ereignisse im Zusammenhang
mit der Fahndung nach Djindjics Mörder sollte nur noch mit behördlicher Genehmigung berichtet
werden. Da der Mord aber als „politischer“ ausgegeben wurde, wurde eine gesonderte Zensurbe-
hörde geschaffen, die auch jeden Bericht über Parteien, Regierung und Parlament absegnen musste.
Die Übertragung von Parlamentsdebatten wurde eingestellt, damit kein nicht genehmes Wort eines
Abgeordneten die Öffentlichkeit erreicht.
Waren zur Zeit der „Milosevic-Diktatur“ die oppositionellen Medien in der Überzahl, gab es im
Zeichen der „Demokratie“ gerade noch eine Oppositionszeitung. Die musste nun ihr Erscheinen
sofort einstellen, es folgte eine Wochenzeitung und bis Anfang April waren schon sieben Zeitun-
gen verboten, ein Rundfunksender und eine Fernsehanstalt geschlossen. Die Zahl der verhafteten
stieg sprunghaft. 14 Tage nach dem Attentat, am 26.03.03 berichtete Die Welt, „nach dem An-
schlag auf Djindjic waren mehr als 3000 Personen festgenommen worden, 1031 befinden sich nach
wie vor in Haft“. Am 08.04.03 berichtet die Neue Zürcher Zeitung unter Berufung auf Regierungs-
kreise von 7000 Verhafteten, und „mindestens 2000 sind derzeit in Haft“. Am Abend des 08.04.03
zitiert die Nachrichtenagentur Beta den Justizminister Batic, dass nun 2.700 „vorübergehend inhaf-
tiert“ seien, am Nachmittag des 09.04.03 meldet die Agentur APA „über 8.200“ Festgenommene.
Das Geheimnis und den Zweck der Übung offenbarte die Frankfurter Allgemeine Zeitung am
19.03.2003: „Der Bruch mit dem alten Regime vollzog sich nicht so radikal, wie man es nach den
Bildern des Belgrader Barrikadensturmes glauben mochte.“ Damals fehlte die „Nacht der langen
Messer“, eine Batholomäusnacht, die Abrechnung mit den Linken und allen Patrioten, und die soll
nun nachgeholt werden. Allerdings, und besonders nachdem die Polizei bei ihren Notstandsübun-
gen zwei Verdächtige erschossen hat, werden auch der FAZ die Gefahren des Unternehmens be-
wusst: Am 03.04.2003 lässt sie ihre Fragen so formulieren: „Manche serbische Berichterstatter
fragen, ob es noch viele Tote bei künftigen Festnahmeversuchen geben wird. Ein Journalist schließt
nicht aus, daß Lukovic ‚auf der Flucht erschossen’ werde. Dann könnte er auch in zu erwartenden
Prozessen nichts über die Verbindungen aussagen, die die serbische Unterwelt im Regime Milose-

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vics und später zu der neuen Regierung unterhielt.“ Doch die Verschleierung der eigenen Mafia-
Verstrickung dürfte für Serbiens „Demokraten“ nicht die oberste Priorität sein.
Ausländische Hilfe erbeten – beim Gefängnisbau
Entscheidend ist, die Forderung der „Internationalen Gemeinschaft“ und ausländischen „Geber“ zu
erfüllen. Am 03.04.2003 landete einer der führenden Mörder des irakischen Volkes, Colin Powell,
mit noch frischem Blut an den Händen zum Kondolieren bei Frau Djindjic in Belgrad. Beim ersten
Besuch eines US-Außenministers seit 1991 setzte der sich, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung
berichtete, „für eine Fortsetzung des innenpolitischen Reformkurses und eine bessere Zusammen-
arbeit mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag ein“. Genau diese Punkte wurden zur
gleichen Zeit auch andernorts beschworen, in Strasbourg, wo Serbien und Montenegro feierlich in
den Europarat aufgenommen wurden. Die Mitgliedschaft ist bekanntlich an die „Achtung der Men-
schenrechte“ gebunden, und so gewinnt es eine reizende Symbolkraft, die Aufnahme gerade in
einer Zeit zu vollziehen, da das Land die Grundrechte außer Kraft gesetzt hat.
Zur Bekräftigung dieses Reformkurs genannten vollständigen Ausverkaufs aller profitablen Teile
der Volkswirtschaft an ausländische Konzerne fand am 1. April in Belgrad ein „Nationaler Gipfel
für Wettbewerbsfähigkeit“ statt. Kein Aprilscherz, aber ein Gipfel an Unverfrorenheit. Die Agentu-
ren verbreiteten hiervon Bilder des neuen Premiers Zoran Zivkovic, wie er mit dem US-Botschafter
in Belgrad (und CIA-Residenten für den ganzen Balkan) William Montgomery um die Wette
grinst. Noch aussagekräftiger ist das FoNet-Bild vom gleichen Tag, das einen energischen Mann
zeigt, und die Unterschrift trägt: „US-Stahl-Repräsentant John Goodis bei der Pressekonferenz zur
Übernahme der Smederevo-Eisenwerke“. Damit auch dem Letzten klar wird, wie der Gipfel der
Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen ist. Die Metallindustrie von Smederevo war ein Flaggschiff der
jugoslawischen Industrie, international wettbewerbsfähig, entsprechend begehrt und – im mehr-
heitlichen Eigentum der Beschäftigten. Dieses „undemokratische Relikt der Milosevic-Ära“ wurde
nun, bei suspendierten Gewerkschaftsrechten, neuen demokratischen Eigentümern übertragen.
Proteste von Belegschaft und Gewerkschaften dagegen fielen aus – praktischerweise ist die Aufhe-
bung von Gewerkschafts- und Streikrechten ein zentraler Punkt des Belgrader Notstandes.
Und wonach verlangt Kapital, das vom Vorbestraften Grafen Lambsdorff einst so unnachahmlich
als „scheues Reh“ tituliert wurde, am meisten? Genau, Sicherheit, ein investitionsfreundliches
Klima. Und das verlangt, dass mit der ganzen „patriotischen“ Rhetorik, der antiwestlichen Stim-
mung, der Bockigkeit gegenüber dem Haager „Tribunal“ ein für alle Mal Schluss gemacht wird.
Dazu bot sich der 24. März an, Jahrestag des NATO-Überfalls auf Jugoslawien 1999, und seitdem
alljährlich Tag des öffentlichen Protests, einer Demonstration und Kundgebung auf dem Belgrader
Platz der Republik. Nicht so im Jahr 2003, diesmal waren im Zeichen des „Ausnahmezustands“
alle öffentlichen Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen verboten. Bis auf eine, und die hatte
es in sich: Am 21. und 22. März 2003 tagte im Belgrader Parlament – die Parlamentarische Ver-
sammlung der NATO! Und könnte einem zu diesem Anlass eine würdigere Festrednerin einfallen
als – Carla del Ponte? Nein? Auch der NATO fiel keine ein. Ist eine Steigerung dieses Zynismus
vorstellbar? Zum Jahrestag der NATO-Aggression hat nur der Aggressor das Recht der öffentli-
chen freien Rede!
Solchen Vorgaben entsprechend dürfen die Verantwortlichen des Djindjic-Attentats auch keines-
wegs nur in dessen eigenem Mafia-Milieu gesucht werden, deshalb muss der Anlass genutzt wer-
den, die gesamte politische Opposition zu kriminalisieren. So berichtet der Wiener Standard am
08.04.03 über vage Andeutungen des neuen Regierungschefs: „Ministerpräsident Zivkovic deutete
an, daß ‚eine gewisse Zahl noch aktiver sowie ehemaliger Politiker’ in die Ermordung seines Vor-
gängers verstrickt sei. Es gebe Hinweise, daß einzelne Mitglieder aus einigen Parteien, die sich zu

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den ‚patriotischen Kräften’ im Lande zählten, in den Mord verwickelt seien.“ In der regie-
rungsamtlichen Siegesfanfare wird zur Ablenkung vom eigenen Chef nach dem Motto „Haltet den
Dieb!“ erklärt (lt. Standard online vom 07.04.03): „Die serbische Regierung hat mit der groß an-
gelegten Aktion "Sablja" (Säbel) gegen das organisierte Verbrechen dem von Milosevic aufgebau-
ten Machtapparat den Todesstoß versetzt und die Verquickung von Politik, Geheimdienst und Kri-
minellen zerschlagen.“
Einen bringen solche Siegesmeldungen aber in Verlegenheit, wie derselbe Bericht einräumt:
„Nachdem bisher das Militär ausgeholfen hatte, hat sich Serbiens Justizminister Vladan Batic jetzt
ans Ausland gewandt mit der Bitte um Hilfe bei der Errichtung neuer Haftanstalten.“ Da kann sich
der Kabarettist nur noch nach einem anderen Beruf umsehen – oder kann sich jemand das Echo
vorstellen, zu Milosevics Zeiten hätte Serbien um Hilfe beim Bau neuer Knäste gebettelt?
Politische Verfolgungswelle und Räuberpistolen
Das mit diktatorischen Vollmachten agierende Notstandsregime nutzt die zeit nach dem Attentat
als willkommene Gelegenheit zur politischen Revanche und Abrechnung. Die Hauptstoßrichtigung
geht natürlich gegen die Linke und alle Patrioten (zur Erklärung für deutsche Leser: das ist die An-
ti-NATO-Opposition); damit begnügt sie sich aber längst nicht, sondern greift weit in die Reihen
ehemaliger Mitverschworener. Spätestens jetzt wird der Eindruck unabweisbar, dass hier eine un-
sichtbare, aber gut geübte Hand Regie führt. Sie dürfte William Montgomery und seinem CIA ge-
hören, der sich einiger, inzwischen überflüssig gewordener Marionetten entledigt.
Als prominentes Beispiel mag der vormalige Generalstabschef der jugoslawischen Armee Nebojsa
Pavkovic dienen, der am 01.04.03 verhaftet wurde. Die Entlassung des ursprünglich mit Kostunica
Verbündeten wurde solange von Djindjic gefordert, bis Pavkovic auf die Seite von Djindjic wech-
selte, und dann tatsächlich von Kostunica entlassen wurde. Aber als Militärchef im Kosovo bei der
Abwehr der NATO-Aggression 1999 hat der Mann in den Augen des US-Kommandeurs freilich
für alle Zeiten ausgedient.
Ein bemerkenswertes Beispiel liefert die österreichische Agentur APA am 02.04.03: „Der Belgra-
der Sender ‚B-92’ meldete unter Berufung auf gut unterrichtete Kreise, dass der Bruder des Führers
der Partei ‚Neues Serbien’, Velimir Ilic, verhaftet worden sei. Der Bürgermeister von Cacak hatte
eine wichtige Rolle bei den Massenprotesten in Belgrad im Oktober 2000 gespielt, die zum Sturz
des damaligen Präsident Slobodan Milosevic geführt hatten. Ilic und seine Partei waren am letzten
Freitag aus der Regierungskoalition, die jetzt den Namen ‚DOS-Reformen Serbiens’ (DOS: Demo-
kratische Opposition Serbiens) trägt, ausgeschlossen worden.“ Zufälle gibt’s… Aber die schönste
Offenbarung war: „Laut dem Belgrader Sender soll Milorad Lukovic ‚Legija’, Anführer der Mafia-
Gruppe von Zemun, dem die Ermordung von Serbiens Regierungschef Zoran Djindjic angelastet
wird, in Cacak viele Helfershelfer haben.“
Diese letzte Information kann nur die ganz Dummen beeindrucken. Denn wer die zentrale Rolle
„Legias“ beim Staatsstreich vom 05.10.2000 kennt, weiß auch über seine vielen Helfer aus Cacak.
Für sie und besagten Velimir Ilic wurden seinerzeit wahre Heldenepen gedichtet. Die tageszeitung
vom 16.10.2000 druckte unter der Überschrift „Helden wie dieser“ aus der Schweizer Weltwoche
nach: „Er führte den Kampf um Belgrads Parlament (…) Was sich in Belgrad abspielte, war kein
spontaner Volksaufstand. Die Erstürmung des Parlaments, die schließlich in einen Machtwechsel
mündete, war nicht der Euphorie des Moments geschuldet. ‚Es gab einen Plan’, sagt Ilic, ‚und den
kannten in allen Details nur fünf Leute: zwei Polizisten aus Cacak, zwei Polizisten einer Eliteein-
heit in Belgrad und ich.’ (…) ‚Seit vier Monaten haben wir vertrauenswürdige Leute in der Polizei
und bei der Armee kontaktiert.’“ Die Zeit dieser „Helden“ scheint vorbei.

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Ilic hatte schon im vergangenen Herbst Kostunica bei dessen vergeblichen Anläufen um das serbi-
sche Präsidentenamt unterstützt. So war es nur eine Frage der Zeit, wann die „Verantwortung Ko-
stunicas“ für das Djindjic-Attentat thematisiert wird. Am Abend des 08.04.03 war es nach APA-
Meldungen soweit – „zwei Vertraute“ von Kostunica wurden verhaftet, wegen angeblicher „Er-
kenntnisse über Treffen und Abmachungen zwischen den Drahtziehern des Mordes, Milorad Lu-
kovic und Dusan Spasojevic“, welche, zur Erinnerung, präventiv erschossen wurden. So lautet also
das von den Agenturen kolportierte Verdikt über den einstigen Hoffnungsträger, aber objektiven
Wegbereiter von Djindjics Marionettenregime: „Spitzenpolitiker der serbischen Regierungskoaliti-
on haben in den vergangenen Tagen Kostunica wiederholt vorgeworfen, die politische Verantwor-
tung für den Tod von Djindjic zu tragen.“
Am 08.04.03 berichtet die österreichische Agentur APA über neue „Polizeierkenntnisse“, nach
denen „hinter der Ermordung von Djindjic stehen“ sollen: „Gegner der Zusammenarbeit mit dem
UNO-Kriegsverbrechertribunal, darunter auch einzelne Militär- und Polizeiangehörige, der Zemun-
Clan, politische Parteien, ‚die mit der Machtverteilung unzufrieden waren’, aber auch einzelne Ge-
schäftsleute, die nach der Wende im Oktober 2000 ihre privilegierte Stellung verloren hatten.“
Weiterhin wird von einem „Verschwörernetz“ berichtet, das „während des serbischen Präsidenten-
Wahlkampfes im Herbst 2002 dem serbischen Ultranationalist Vojislav Seselj logistische Hilfe“
geleistet haben soll. Und da Slobodan Milosevic dessen Kandidatur für die Volkseinheit gegen die
NATO politisch unterstützte, kommen wir zu einem ausgesprochen „kurzen Schluss“ über die At-
tentats-Verantwortung.
Slobodan Milosevic in Visier
Am 27.03.03 meldete APA die Verhaftung von Milica Gajic-Milosevic, der Frau von Milosevics
Sohn Marko, in ihrer Heimatstadt Pozarevac. Am 07.04.03 wird gemeldet, „Mirjana Markovic,
einst die mächtige Einflüsterin ihres Mannes Slobodan Milosevic, wird per Haftbefehl gesucht.“
Wer nach einer Begründung fragt, wird so beschieden: „Markovic wird mit dem Mord an dem
ehemaligen serbischen Präsidenten Ivan Stambolic im August 2000 in Zusammenhang gebracht.
Die Leiche des früheren Förderers und späteren Rivalen von Milosevic war erst im vergangenen
Monat in einem Erholungsgebiet in der Nähe von Novi Sad entdeckt worden.“
Das St. Gallener Tagblatt vom 01.04.03 berichtet, „der stellvertretende serbische Regierungschef
Zarko Korac“ – ein landesweit bekannter Psychopath – „hatte das Ehepaar Milosevic beschudigt,
hinter dem Mord an Stambolic zu stecken. (…) Es sehe so aus, als käme der Mordauftrag aus der
Familie Milosevic, sagte Korac dem Fernsehsender BK. Zugleich deutete er eine indirekte Ver-
wicklung des Clans auch in die Ermordung des serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic vor
knapp drei Wochen an. Der Mord sei «mit Sicherheit das Werk patriotischer Kräfte ... Mira Mar-
kovic ist ein Teil dieser Kräfte.“ Hier wird die Stoßrichtung vollends klar: In aller Offenheit sollen
Patrioten kriminalisiert werden, um die Ausverkäufer und Verräter des Landes als tugendhafte
Vorbilder auszugeben.
Immerhin konnte sich Mira Markovic in einem Brief, der am 31.03.03 in der montenegrinischen
Zeitung Publika abgedruckt war, gegen die Vorwürfe wehren: „Das sind falsche, abscheuliche Be-
schuldigungen. Da sie mich politisch nicht zum Schweigen bringen können, versucht die serbische
Regierung, mich als Kriminelle zu bezeichnen, um mich so von der politischen Bühne zu entfer-
nen.“

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Zum Motiv der Stambolic-Ermordung heißt es im Guardian vom 29.03.03: „Es wird vermutet, dass
Milosevic den Befehl gab, Stambolic aus dem Weg zu räumen, da er Angst hatte, dieser könne bei
den Präsidentschaftswahlen im Oktober des Jahres gegen ihn kandidieren.“
Abgesehen davon, dass die Wahlen im September stattfanden, können nur ausgesprochen schlichte
Gemüter diesem „Motiv“ auf den Leim gehen: Stambolic wäre, hätte er kandidiert, ein Anti-
Milosevic-Kandidat gewesen, er hätte Milosevic keine Stimme abgenommen, sondern die Stimmen
im Lager der Milosevic-Gegner zersplittert. Eine Gefahr wäre diese Kandidatur für den von Djind-
jic und den NATO-Spitzen im Berliner Interconti gekürten Kandidaten Kostunica gewesen. Wer
hatte also ein Interesse, eine Stambolic-Kandidatur zu verhindern? Die gleichen, könnte man weiter
folgern, die mit zwei Attentaten den Oppositionellen und potentiellen Kandidaten Draskovic aus-
zuschalten versuchten.
Hier soll wieder das altbekannte Muster herhalten, Milosevic für die Ermordung von Freunden wie
(nützlichen) Gegnern gleichermaßen verantwortlich zu machen. Eines der markantesten Beispiele
hierfür war die Ermordung von Zeljko „Arkan“ Raznatovic im Januar 2000, die auch Milosevic in
die Schuhe geschoben wurde.
Doch manchmal geschehen noch Zeichen und Wunder, und echte Mörder müssen tatsächlich vor
Gericht erscheinen. So berichtet die Aargauer Zeitung am 09.01.03 von einem Prozess, bei dem
allerdings die „Öffentlichkeit oft ausgeschlossen“ ist – und, noch befremdlicher, der Titel des Be-
richts lautet: „Zeuge «K 2» fürchtet um sein Leben“. Aufklärung des Rätsels: Es ist kein normales
Gericht, sondern das Haager „Tribunal“, dort ist manches etwas anders, und der ängstliche Zeuge
ist – der Mörder. Der allerdings gegen Milosevic aussagt. Was auch sonst. Wir lesen: „Auf eine
Frage von Milosevic bestätigte der Zeuge, dass er in den Mordanschlag auf den serbischen Mili-
zenführer Arkan verwickelt war.“ Der Held war auch mal, ein Jahr lang, bei den „Roten Baretten“
tätig, und wegen seiner Mordbeteiligung „fürchte er weiterhin um sein Leben“. Tja, das lässt unser
sauberes „Tribunal“ natürlich nicht ungerührt, und am 03.04.03 kann die Belgrader Nachrichten-
agentur Beta melden, das „Tribunal“ habe „das Belgrader Bezirksgericht darüber informiert, dass
der Zeuge «K 2», der in die Ermordung von Zeljko Raznatovic verwickelt war, lebenslangen
Schutz erhält“.
Angriff auf die Milosevic-Verteidiger
Fast triumphierend titelt der Kölner Stadtanzeiger vom 01.04.03 „Familie Milosevic rückt ins Vi-
sier“. Mit den Anschuldigungen gegen die Familie Milosevic wurde zugleich der Startschuss für
eine breite Verfolgung der Linken gegeben. „Drei enge Mitarbeiter der Vorsitzenden der neokom-
munistischen JUL-Partei (Jugoslawische Linke) befinden sich seit Samstag in Untersuchungshaft“,
berichtete die österreichische APA am 30.03.03, darunter „der ehemalige jugoslawische Informati-
onsminister Goran Matic“. Weiterhin wurden Uros Suvakovic, Vorstandsmitglied von SLOBODA,
dem Jugoslawischen Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic und Chefherausgeber
der theoretischen Zeitschrift der Sozialistischen Partei Serbiens sowie Bogoljub Bjelica, Präsident
von SLOBODA und Vorsitzender des Organisationspolitischen Komitees des Präsidenten der So-
zialistischen Partei Serbiens verhaftet. Vorübergehend in Haft war auch Vladimir Krsljanin, Spre-
cher von SLOBODA und Internationaler Referent von Slobodan Milosevic.
Slobodan Milosevic verlangte am 01.04.03 in Den Haag: „Zunächst wiederhole ich meinen Antrag,
mir die Befragung der Zeugen zu ermöglichen, und zwar im öffentlichen Verfahren, da dies mit der
Medienkampagne zusammenhängt, die weiterhin öffentlich erfolgt. Wie man gegen meine Frau
und meine Kinder Vergeltung geübt hat, gehört für mich zu den Erinnerungen an die schwärzesten

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Tage des letzten Jahrhunderts! Ich fordere eine Untersuchung der Mitwirkung dieser illegalen An-
klagevertretung an der Fabrikation der Unwahrheiten, die in Umlauf gesetzt werden.“
„Richter“ May unterbrach ihn natürlich an dieser Stelle, da er nicht sehen könne, dass die „Ereig-
nisse in Belgrad irgendeinen unmittelbaren Einfluss auf dieses Verfahren hätte(n)“. Slobodan Mi-
losevic erwiderte: „der unmittelbare Einfluss liegt in der Absicht, meine Frau daran zu hindern, mir
Hilfe und Unterstützung zu leisten. Darüber hinaus möchte ich Sie informieren, dass sie mehrere
Mitglieder des Nationalen Komitees für meine Verteidigung „SLOBODA” verhaftet haben, ob-
wohl es dafür keinen Grund gibt. Demzufolge haben wir es hier mit einem orchestrierten Versuch
zu tun, auf mich und meine Familie Druck auszuüben, da diese falsche Anklage hier jeden Tag ein
Fiasko erlebt. Ich betrachte es als Ihre Pflicht, das Ausmaß ihrer Mitwirkung festzustellen.“
Wie „wenig“ die Entwicklung in Serbien mit dem Verfahren zu tun hat, konnte „Richter“ May
dann vom Del Ponte-Stellvertreter Nice erfahren. Nach einem Bericht des Belgrader Runfunksen-
ders B 92 sagte der, es sei völlig „unmöglich bis zur gesetzten Frist am 16. Mai alle Zeugen der
Anklage zu präsentieren, die Zeugenliste bleibe in der gegenwärtigen Form nicht bestehen, da die
politischen Umstände in Serbien Einfluss auf die Aussagebereitschaft bestimmter Leute haben.“
Das SLOBODA-Komitee stellte bei einer Presseerklärung fest: „Das Fiasko des so genannten Haa-
ger Prozesses hat Panik ausgelöst, beim ”Tribunal” selbst wie auch beim hiesigen Regime, das als
sein Belgrader Büro fungiert, sowie bei ihren gemeinsamen Herren. Abgesehen von dem verzwei-
felten Versuch, das Leben und die Gesundheit von Präsident Milosevic zu gefährden, fanden die
Kräfte der Aggression gegen unsere Freiheit und unser Volk kein einziges Mittel gegen seinen
großartigen Kampf für die Wahrheit, der die Kräfte des Friedens und der Freiheit inspiriert und
mobilisiert, zu Hause und im Ausland.
Der Versuch, den rechtswidrig von einem illegitimen Regime ausgerufenen Ausnahmezustand in
Serbien für einen Angriff auf Präsident Milosevic, seine Familie und seine Mitarbeiter auszunut-
zen, spricht allein schon für ihre Dummheit und Schwäche. Es widerspricht dem gesunden Men-
schenverstand, es ist zynisch und es ist vom Standpunkt der Moral und Logik nicht hinnehmbar,
dass Präsident Milosevic und Mitglieder seiner Familie mit bestimmten Personen und Gruppen in
Verbindung gebracht werden, die früher vom Regime zu ”Helden der Revolution des 5. Oktober”
erklärt wurden und die an seinem Sturz und an seiner Verhaftung mitgewirkt haben.“
Das Präsidium des Europäischen Friedensforums protestierte am 21.03.03 „dagegen, dass die ser-
bische Regierung die Ermittlungen gegen mögliche Attentäter von Ministerpräsident Zoran Djind-
jic zum Vorwand nimmt, Bürger- und Grundrechte außer Kraft zu setzen.“ Gefordert wird u.a. „der
Stopp der willkürlichen und politisch motivierten Verhaftungen und die sofortige Beendigung der
Kriminalisierung politischer Opposition.“ Der Deutsche Freidenker-Verband forderte in einem
Schreiben an die Berliner Botschaft von Serbien und Montenegro „die sofortige Freilassung von
Bogoljub Bjelica und allen politischen Gefangenen.“
Politische Morde regen immer dazu an, verschiedene Hypothesen und Spekulationen in die Welt zu
setzen, der Fall Djindijic macht hier keine Ausnahme. Manche vermuten, hier habe die Rache des
Volkes gewirkt, Rache für nationale Erniedrigung und soziale Verelendung, für die der Name
Djindjic synonym stand. Andere spekulieren, dass die USA, gerade vor dem Hintergrund des Zwi-
stes um den Irak-Krieg, die deutsch-europäischen Parteigänger auf dem Balkan schwächen wollten.
Wieder andere behaupten, dass Djindjic mit seinem Insistieren auf Einlösung versprochener Fi-
nanzhilfen und einer Lösung des „Kosovo-Problems“ im Rahmen der UN-Beschlüsse zunehmend
lästiger wurde.

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Deutungsversuchen dieser Art ist gemeinsam, dass sie ein gewisses Maß an Plausibilität haben
müssen. Trotzdem ist es sicherer und auch völlig ausreichend, sich an die Fakten zu halten. Vor-
mals gefeierte „Helden der Revolution“ verloren ihre Nützlichkeit oder hatten ihre Schuldigkeit
getan, und ehemals hilfreichen Unterweltgestalten ewig Rente zahlen, ist einfach unökonomisch.
Alle Kolonialherren bevorzugen Kollaborateure, die willig und aus Überzeugung ihre Arbeit ma-
chen, einschließlich der Verschleuderung der letzen Reichtümer des Landes, ohne lange zu feil-
schen. Dieses ökonomische Programm endlich durchzuziehen, jeden sozialen Protest dagegen zu
unterdrücken sowie eine linke und patriotische Opposition im Land zu kriminalisieren und langfri-
stig zu schwächen – das ist der Sinn und Zweck des „Ausnahmezustands“.
Die generalstabsmäßige Durchführung dieses Notstands- oder Kriegsrechtsmanövers weist auf eine
langfristige Vorbereitung und Planung sowie darauf hin, dass die Regie in geübten Händen auslän-
discher Agenturen liegt. Das Haager Tribunal macht immer weniger einen Hehl daraus, dass es
Teil dieses „gemeinschaftlichen verbrecherischen Unternehmens“ gegen die jugoslawischen Völ-
ker ist. Die „Tribunals-Anklage“ und die Belgrader Notstandsbehörden arbeiten eng zusammen,
um die Verteidigung von Slobodan Milosevic mit allen Mitteln zu erschweren. Sein Verteidigungs-
und Untersuchungsteam in Belgrad wird bedroht, verhaftet, Computer werden konfisziert, und der
Haftbefehl gegen Mirjana Markovic dient in erster Linie dazu, ihr Besuche im ehemaligen Scheve-
ninger Nazigefängnis unmöglich zu machen. Diese Stoßrichtung des NATO-Notstandsregimes ist
eine weitere Mahnung, die Solidarität mit Slobodan Milosevic zu verstärken.
Alle Kriegsgegner und Linken sind zur Wachsamkeit aufgerufen, damit nicht im Schatten der alle
Aufmerksamkeit auf sich ziehenden Aggression gegen den Irak an dem vorausgegangenen Kriegs-
schauplatz eine massive und andauernde Unterdrückung der antiimperialistischen Kräfte stattfin-
det, um ein unangreifbares proimperialistisches „Nachkriegsregime“ zu installieren. Die Auflösung
des Haager „Tribunals“ als zu diesem Zweck geschaffenen Instrument bleibt weiterhin auf der Ta-
gesordnung.
* Klaus Hartmann ist Vizepräsident des Internationalen Komitees zur Verteidigung von Slobodan
Milosevic (ICDSM)